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Trans Leben unter Druck – Wie Politik zum Risiko wird
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Trans Leben unter Druck – Wie Politik zum Risiko wird

Deutschland gibt sich gern als moderne, inklusive Demokratie. Doch für trans Menschen bleibt der Alltag geprägt von Unsicherheit und rechtlicher Unklarheit. Die Abschaffung des veralteten Transsexuellengesetzes (TSG) war überfällig – aber ein belastbares Nachfolgegesetz fehlt bis heute. Gleichzeitig mehren sich Stimmen, insbesondere aus dem konservativen Lager, die gezielt Stimmung gegen trans Personen machen. Die rechtliche Leerstelle wird damit zur gesellschaftlichen Gefahrenzone.

Das Ende des TSG – ein Versprechen ohne Substanz

Die Koalition aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP hatte 2021 angekündigt, das TSG durch ein modernes Selbstbestimmungsgesetz zu ersetzen. Menschen sollten ihren Vornamen und Geschlechtseintrag künftig durch eine einfache Erklärung beim Standesamt ändern können – ohne medizinische Gutachten, ohne gerichtliche Fremdbestimmung. Bereits im Juni 2022 wurden entsprechende Eckpunkte vorgelegt. Doch die Umsetzung verzögerte sich um Jahre.

Ursprünglich war geplant, das Gesetz erst vier Jahre nach Inkrafttreten zu evaluieren. Die nun bis Juli 2026 vorgezogene Überprüfung zeigt: Selbst die Bundesregierung zweifelt offenbar an der Tragfähigkeit ihrer Lösung. Die versprochene Sicherheit bleibt aus.

Rückverfolgbarkeit statt Schutz:

Besonders kritisch ist die im Koalitionsvertrag formulierte „bessere Nachverfolgbarkeit“ bei Namens- und Geschlechtsänderungen. Was formal der Rechtsklarheit dienen soll, kann in der Praxis zur Gefahr werden: Zwangsoutings, digitale Diskriminierung, administrative Eingriffe. In einer zunehmend digitalisierten Gesellschaft bedeutet Rückverfolgbarkeit potenziell Kontrollverlust für die Betroffenen – und eine strukturelle Schwächung ihrer Rechte.

Politische Rhetorik als Risiko:

Im Rahmen dieser Recherche wurde eine Stellungnahme der CDU angefragt. Eine Antwort lag bis Redaktionsschluss nicht vor.

Vertreterinnen und Vertreter der Union nutzen das Thema regelmäßig, um mit Ängsten zu arbeiten: trans Frauen werden pauschal sexualisiert, die Rechte von Kindern und Jugendlichen werden rhetorisch gegen das Selbstbestimmungsrecht ausgespielt. Die Sprache zielt nicht auf Aufklärung – sondern auf Polarisierung.

Untätigkeit und Protest:

Am Nachmittag des Vortags versammelten sich rund 20 Menschen in Hamburg, um gegen die transfeindliche Rhetorik und das politische Versagen beim Selbstbestimmungsgesetz zu demonstrieren. Ihr Protest steht exemplarisch für eine wachsende Unzufriedenheit – auch kleine Aktionen zeigen, dass der gesellschaftliche Druck steigt.

Dabei hatte die Bundesregierung noch mehr versprochen: Die Aufnahme geschlechtlicher Identitäten ins Grundgesetz und eine klare Regelung zur medizinischen Versorgung im Sozialgesetzbuch wurden angekündigt – und nie umgesetzt. In Kombination mit der gesellschaftlichen Stimmung entsteht der Eindruck: Trans Menschen sollen nicht gefördert, sondern aus dem öffentlichen Bewusstsein gedrängt werden.

Globale Perspektive:

Ein Blick zurück in die Geschichte zeigt, dass politische Kampagnen gegen geschlechtliche Vielfalt kein neues Phänomen sind. Schon in der Zeit des Nationalsozialismus wurden trans Menschen gezielt verfolgt. Das Institut für Sexualwissenschaft in Berlin, das unter Magnus Hirschfeld eine internationale Vorreiterrolle bei der Unterstützung transgeschlechtlicher Personen einnahm, wurde 1933 von den Nationalsozialisten geschlossen und zerstört. Die dort dokumentierten Identitäten und medizinischen Unterlagen fielen den Flammen zum Opfer – ebenso wie die Existenzgrundlagen vieler Betroffener.

Noch im selben Jahr wies etwa die Stadt Hamburg ihre Polizei an, „Transvestiten besonders zu beachten und erforderlichenfalls in das Konzentrationslager zu überführen“. Auch wenn sich der Begriff „trans“ damals noch anders definierte, ist klar: geschlechtliche Nonkonformität galt dem Regime als Bedrohung. Es gibt Hinweise, dass bereits vor der Machtübernahme der NSDAP die mediale Darstellung von trans Menschen zunehmend ins Lächerliche gezogen oder kriminalisiert wurde – insbesondere im Kontext moralischer Panik.

Diese Kontinuität der Abwertung, Pathologisierung und Verfolgung zieht sich, wenn auch in veränderter Form, bis in die Gegenwart. Das macht deutlich, wie gefährlich es ist, wenn rechtlicher Schutz ausbleibt und politische Rhetorik gezielt gegen marginalisierte Gruppen gerichtet wird.

Was in Deutschland geschieht, ist kein Einzelfall. In den USA wurden 2023 mehr als 500 Gesetzesinitiativen eingebracht, die gezielt trans Rechte einschränken. Auch in Staaten wie Ungarn, Polen, Russland oder Großbritannien wächst der politische Druck. Deutschland steht an einem Scheideweg: Will es Teil eines autoritären Backlashs sein – oder ein glaubwürdiger Verteidiger der Menschenrechte?

Fazit:

Trans Leben in Deutschland ist gefährdet – nicht nur durch offene Anfeindung, sondern auch durch politisches Nichthandeln. Wer Selbstbestimmung rechtlich anerkennt, muss sie auch schützen. Wer von gesellschaftlicher Vielfalt spricht, darf trans Menschen nicht ausklammern. Und wer demokratische Grundrechte verteidigt, muss sie auch dann garantieren, wenn sie nicht populär sind.

Hinweis: Für diesen Artikel wurde eine offizielle Stellungnahme bei der CDU angefragt. Eine Antwort lag bis Redaktionsschluss nicht vor.

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