Das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) wurde im November 2024 eingeführt – und gefeiert: als Befreiung von Bürokratie, als Fortschritt für trans, inter und nicht binäre Menschen. Für viele mag es das auch so sein.
Aber für Menschen wie mich, die ihre Änderung noch unter dem Transsexuellengesetz (TSG) vollzogen haben, sieht die Realität anders aus.
Ich hatte ein gutes Verfahren. Die Gutachter waren respektvoll, der Richter klar und freundlich. Kein entwürdigendes Verhör, kein Kampf. Nur ein Schreibfehler im Beschluss – sonst lief alles glatt. Und am Ende stand ein Urteil, das mich rechtlich vollständig anerkannte. Das war mehr als Symbolik. Es war Schutz.
Was tun mit einem Gesetz, das sich Selbstbestimmung nennt – aber Schutzräume preisgibt? Das Diskriminierung verbietet – aber Ausnahmen legalisiert? Das Transidentität entpathologisiert – aber das Gesundheitswesen nicht verpflichtet, sie ernst zu nehmen?
Das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) sollte trans, inter und nicht binären Menschen in Deutschland Würde geben. Was es gebracht hat, ist etwas anderes: Vereinfachung auf dem Papier. Aber weniger Schutz im echten Leben. Und nun, mit wachsendem politischem Druck von rechts – nicht nur aus dem Inland, sondern auch aus den USA – droht nicht nur ein Rückschritt, sondern ein vollständiges Rollback. Eine Rückkehr in rechtliches Niemandsland.
Was das Gesetz verspricht – und was es verschweigt
Seit dem 1. November 2024 können Menschen ihren Geschlechtseintrag und Vornamen durch eine einfache Erklärung beim Standesamt ändern. Ohne Gutachten. Ohne Gerichtsverfahren. Auf Wunsch auch ab 14 Jahren – mit Zustimmung der Eltern.
Das klingt modern, schnell, menschlich. Und für viele ist es das – auf dem Papier.
Doch wer schon vorher durch das alte Transsexuellengesetz (TSG) gegangen ist, weiß: Das neue Gesetz ist kein Fortschritt. Es ist eine politische Beruhigungspille – und es kommt mit Nebenwirkungen.
Was das TSG (trotz allem) besser gemacht hat
Das TSG war voller Zumutungen. Zwei psychologische Gutachten. Gerichtliche Verfahren. Teilweise jahrelange Prozesse. Aber: Wer ihn durchstand, war rechtlich abgesichert.
Akten wurden versiegelt. Dokumente geändert. Gerichtsurteile machten deutlich: Diese Person hat ein Recht auf Anerkennung – mit Nachdruck.
Unter dem TSG konnte man z. B. auf Antrag eine Scheidungsurkunde ändern lassen, oder in bestimmten Fällen sogar Geburtsurkunden der Kinder anpassen lassen. In sicherheitsrelevanten Fällen (z. B. Wehrpflicht) galt der neue Personenstand verbindlich – nicht unter Vorbehalt. Und wer fremd geoutet wurde, konnte Schmerzensgeld einklagen – teils in vierstelliger Höhe.
Außerdem:
Nach einem bundesweiten Gerichtsurteil ( BSG Az. B 1 KR 3/01 R) war klar: Wenn eine Person die gerichtliche Anerkennung nach dem TSG erhalten hatte, mussten die gesetzlichen Krankenkassen medizinische Maßnahmen zur Transition übernehmen – etwa Hormonbehandlungen oder Operationen.
Diese Rechtssicherheit ist mit dem SBGG weggefallen. Heute hängt die Kostenübernahme ausschließlich an medizinischer Begutachtung und den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA). Eine gerichtliche Grundlage wie unter dem TSG fehlt.
Was im SBGG fehlt: Schutz, Verbindlichkeit, Respekt
Die Geburtsurkunden der Kinder von trans Eltern bleiben unverändert – eine trans Frau bleibt dort rechtlich "Vater", ein trans Mann "Mutter", egal, wie alt das Kind ist, egal, was die Familie will.
Dokumente aus der Vergangenheit, z. B. Scheidungsurteile, Abschlusszeugnisse, Adoptionsbeschlüsse, bleiben häufig mit dem alten Namen oder Geschlecht versehen – und können nicht geändert werden.
Hausrecht vor Menschenrecht: Vereine, Schutzräume, Sportverbände und Saunabetreiber dürfen trans Personen rechtmäßig ausschließen, selbst wenn sie rechtlich den passenden Geschlechtseintrag haben.
Im Kriegsfall darf der Staat wieder das "ursprüngliche" Geschlecht heranziehen – etwa zur Wehrpflicht oder Zuweisung im Bevölkerungsschutz.
Und jetzt? Rückabwicklung absehbar
Im Juli 2026 steht eine gesetzlich vorgeschriebene Evaluation des SBGG an. Die Koalition aus CDU/CSU und SPD hat im Koalitionsvertrag kein Bekenntnis zum Gesetz festgehalten – sondern nur eine nüchterne Überprüfung.
Die CDU/CSU hat das Gesetz im Bundestag geschlossen abgelehnt. Parteichef Friedrich Merz will es zurücknehmen. CSU-Chef Markus Söder attackiert es rhetorisch bei jeder Gelegenheit. Die SPD schweigt. Und die AfD – derzeit stärkste Oppositionskraft – hetzt offen gegen trans Personen und kündigt an, das Gesetz nicht nur zu streichen, sondern Betroffenen die Rechte rückwirkend abzuerkennen.
Gefährlicher Druck von außen: Handel gegen Queerrechte
Parallel dazu fordern die USA unter der erneuten Präsidentschaft von Donald Trump, dass andere Länder LGBTQIA+-Schutzbestimmungen abbauen, um Handelsabkommen zu bekommen. Großbritannien ist bereits unter Druck: Es soll Schutzklauseln gegen Hassrede abschaffen. Die EU und Deutschland stehen vor eigenen Verhandlungen mit der Trump-Regierung.
Im deutschen Koalitionsvertrag steht explizit: Die Bundesregierung strebt ein Handelsabkommen mit den USA an, will Handelshemmnisse abbauen und Zölle senken. Der Schutz von Queerrechten taucht dort nicht auf.
Mit anderen Worten: Das Selbstbestimmungsgesetz könnte zum geopolitischen Faustpfand werden. Trans Menschen als Verhandlungsmasse. Würde gegen Wirtschaft.
Ich bin trans. Ich habe meine Änderung unter dem TSG gemacht. Und ich fühle mich heute schlechter geschützt.
Ich musste zwei Gutachten vorlegen. Ich musste vor Gericht. Aber am Ende hatte ich ein Urteil. Ich hatte rechtliche Sicherheit. Ich hatte ein Versprechen des Staates: Du bist jetzt du. Und niemand darf das rückgängig machen.
Heute habe ich das Gefühl, dass genau dieses Versprechen nicht mehr gilt.
Ich hatte Glück mit dem TSG.
Aber selbst wenn man das alte Gesetz völlig zu Recht kritisiert – das neue ist kein Ersatz, wenn es Recht durch reine Verwaltung ersetzt, ohne Schutz nach außen.
Das SBGG macht vieles einfacher – aber es macht uns auch angreifbarer.
Und wenn es jetzt wieder kippt, dann nicht, weil es zu weit ging. Sondern, weil es nicht weit genug war.
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