Wohin geht man, wenn es nirgends sicher ist?
Ein Essay über Angst, Flucht und das wachsende Gefühl, in dieser Welt unerwünscht zu sein
Ich bin weiblich zur Welt gekommen, aber das war ich nie. Ich bin ein Mann. *Biologisch in Teilen sogar **nachweisbar – und vor allem: vollständig, real, sichtbar. In meinen Papieren, meiner Stimme, meinem Spiegelbild. Nur nicht immer in der Gesellschaft, in der ich lebe.
Ich habe oft versucht, nicht zu dramatisieren. Ich habe gehofft, dass sich die Dinge einpendeln, dass Aufklärung etwas bewirkt, das Vernunft siegt. Ich habe sogar geglaubt, dass das Selbstbestimmungsgesetz ein echter Fortschritt sei – ein Anfang, ein Signal, dass auch mein Leben in diesem Land zählt. Aber in diesen Tagen spüre ich vor allem eines: Dass meine Existenz politisch geworden ist – und zwar nicht in einem empowernden Sinne, sondern als Angriffsziel.
Wenn man trans ist, beginnt man irgendwann, sich eine einfache, brutale Frage zu stellen: Wohin kann ich gehen, wenn es schlimmer wird? Und man stellt diese Frage nicht hypothetisch. Sie kommt schleichend – nach jedem neuen Gesetz, jedem neuen Mord, jedem Beitrag im Bundestag, in dem trans Männer wie ich ständig infrage gestellt und auf ihr bei der Geburt zugewiesenes Geschlecht reduziert werden.
Deutschland: Fortschritt unter Vorbehalt
Offiziell kann ich seit November 2024 meinen Geschlechtseintrag ändern. Ohne Gericht, ohne Gutachten. Klingt gut. Aber im Koalitionsvertrag steht bereits, dass das Gesetz 2026 überprüft werden soll – mit Blick auf "Frauenschutz" und "Kinderschutz". Das sind die Codes, mit denen Politiker:innen wie Friedrich Merz sagen: Wir beobachten euch. Wir behalten uns vor, das Ganze rückgängig zu machen, wenn ihr zu sichtbar, zu laut, zu real werdet.
Zugleich muss ich immer noch psychologische Gutachten einreichen, um Zugang zu Hormonbehandlung oder Operationen zu bekommen. Meine Krankenkasse sieht meine Identität nicht als medizinische Notwendigkeit, sondern als "Antrag". Als sei ich ein Verwaltungsfehler.
Dazu kommt: Die Bundesregierung plant eine Nachverfolgung von Namens- und Personenstandsänderungen, angeblich zur Verhinderung von Missbrauch. Das bedeutet, dass meine alte Identität in bestimmten Bereichen – wie bei Arbeitszeugnissen oder polizeilichen Abfragen – weiterhin sichtbar bleiben könnte. Für mich fühlt sich das an wie ein Generalverdacht gegen trans Menschen. Ich soll beweisen, dass ich nicht betrüge, nicht lüge, nicht gefährlich bin – nur weil ich trans bin.
Weltweit? Ein Trümmerfeld!
Erin in the Morning fordert ein generelles systematisches Asylrecht für trans Menschen, die in Ihrem Land verfolgt werden.
Ich habe auch geschaut, wohin ich ausweichen könnte. "Wenn es hart auf hart kommt", wie man so sagt. Aber wo ist es besser?
USA? Trump hat drei Dekrete unterzeichnet, die trans Jugendlichen jede medizinische Hilfe verweigern. Krankenhäuser stellen Behandlungen ein, aus Angst vor Strafverfolgung. Einige Bundesstaaten definieren trans Menschen schlichtweg nicht mehr rechtlich.
Großbritannien? Der Supreme Court hat entschieden, dass trans Frauen keine Frauen sind. Punkt.
Ungarn, Georgien, Türkei? Pride verboten, medizinische Versorgung illegalisiert, Aktivist:innen ermordet.
Kanada, Argentinien, Neuseeland? Vielleicht. Aber dahin zu kommen, Asyl zu bekommen, ist schwer. Sehr schwer.
Digitale Sichtbarkeit, digitale Repression
Unsere Sichtbarkeit in sozialen Netzwerken war einmal ein Schutzraum. Ein Ort, an dem wir uns zeigen, uns vernetzen, uns feiern konnten. Doch das Internet kippt.
TikTok sperrt täglich Videos und Livestreams von trans Menschen – nicht weil sie zu Hass aufrufen, sondern weil sie Begriffe wie „trans“ oder „cis“ benutzen. Inhalte über unsere Erfahrungen verstoßen angeblich gegen Gemeinschaftsstandards. Es sind keine Einzelfälle mehr – es ist systematisch.
Auch Meta (Instagram/Facebook) verschärft seine Inhaltsrichtlinien: Der Algorithmus stuft trans Aktivismus immer häufiger als „sensibel“ oder „kontrovers“ ein, was Sichtbarkeit massiv einschränkt. Und auf X (ehemals Twitter) wurde der Begriff „cis“ vorübergehend als „Hassrede“ gelabelt, während transfeindliche Accounts algorithmisch begünstigt werden.
Social Media war unser Lautsprecher – und wird immer mehr zum Maulkorb.
Besonders perfide: Auf Meta und X ist es Nutzer:innen weiterhin erlaubt, trans Menschen offen zu missgendern und ihre Identität als "Krankheit" zu bezeichnen – während gleichzeitig trans Menschen gesperrt werden, wenn sie über ihre Erfahrungen sprechen oder sich gegen diese Angriffe wehren. Die Plattformen bestrafen nicht den Hass, sondern die Sichtbarkeit.
Noch kein Genozid – aber alle Warnzeichen leuchten
(nach Gregory H. Stanton, Genocide Watch)
Ich habe die 10 Stufen des Genozids gelesen. Und fast alle treffen bereits auf unsere Realität zu: Entmenschlichung. Diskriminierung. Organisation. Polarisierung. In manchen Ländern beginnt bereits die Verfolgung. Kein Plan zur Auslöschung – noch nicht. Aber ein Plan zur Unsichtbarmachung? Ja.
Klassifikation - „Wir“ gegen „die“ - Trans Menschen werden weltweit als „andere“ klassifiziert – z. B. „biologische Männer“ oder „Ideologie“
Symbolisierung - Namen, Kleidung, Symbole - „Gender Ideologie“, „Trans-Agenda“, Flaggenverbote, Pflicht zur „richtigen“ Kleidung (z. B. Ungarn)
Diskriminierung - Ausschluss von Rechten, Bildung, Jobs - Verbot von geschlechtsangleichender Medizin, Diskriminierung im Passwesen, Gesundheitswesen, Militär (USA, Ungarn, UK)
Entmenschlichung - Gleichsetzung mit Krankheit, Gefahr, Perversion - Trans Menschen werden als Bedrohung für Kinder, Frauen und Gesellschaft bezeichnet. In der USA als "gefährlich" gebrandmarkt.
Organisation - Geplante Aktionen, politische Infrastruktur - Staatliche Gesetzesinitiativen, Polizeiüberwachung (z. B. Ungarn), koordinierte Medienkampagnen
Polarisierung - Extreme Narrative spalten Gesellschaft - USA: „Transgenderism is child abuse“ – EU: Transrechte als Bedrohung westlicher Werte
Vorbereitung - „Lösungen“ für das „Problem“ werden geplant - Teilweise. In den USA etwa: Executive Orders gegen Gesundheitsversorgung, Listen gegen Ärzt:innen, Versammlungsverbote in Ungarn
Verfolgung - Gewalt, Listen, Haft, Berufsverbot - Teilweise. Gewalt gegen Aktivist:innen (Georgien, Türkei), Auftrittsverbote, systematische Unterdrückung
Auslöschung - Systematische Tötung, Vertreibung - Noch kein global koordinierter Massenmord, aber Einzelfälle politisch motivierter Morde, wie an Kesaria Abramidze (Georgien), Sam Norquist (USA)
Leugnung - Verharmlosung, Verschweigen, „es gibt keine Transmenschen“ - Siehe Aussagen konservativer Regierungen: „Es gibt nur Männer und Frauen“ – Leugnung trans Existenz als Ideologie
Fazit: Stehen wir an der Schwelle zum Genozid?
Ein global koordinierter Völkermord (Stufe 9) an trans Personen findet 2025 nicht statt.
Aber: Die Welt befindet sich in Stufe 6 bis 8 – Polarisierung, Vorbereitung und beginnende Verfolgung.
Und in manchen Ländern (Ungarn, USA, Georgien, Türkei) sind einzelne Schritte bis zur Stufe 9 bereits greifbar.
Was das bedeutet
Die Bedingungen, unter denen trans Menschen systematisch entrechtet, verfolgt oder aus dem öffentlichen Leben gedrängt werden, sind weltweit in vollem Gange.
Das bedeutet nicht, dass ein Genozid unausweichlich ist – aber dass alle Warnsignale aufleuchten.
Aktivist:innen, Medien, NGOs, demokratische Staaten – wir alle sind gefordert, nicht zu warten bis „Stufe 9“ erreicht ist.
Was bleibt?
Ich will nicht fliehen. Ich will hier leben. Ich will ein Leben ohne Gutachten. Ohne Angst. Ohne Politiker:innen, die mich ausradiert diskutieren.
Aber wenn das nicht möglich ist, dann will ich wenigstens das Recht, zu überleben. Und dazu gehört auch: Laut zu bleiben. Diesen Text zu schreiben. Und anderen zu sagen: Du bist nicht allein. Wir gehen nicht. Wir bleiben. Noch.
*Bedeutung und Kontext
Diese Studien liefern Hinweise darauf, dass Transgeschlechtlichkeit biologische Komponenten hat. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass die Existenz einer biologischen Grundlage nicht als Voraussetzung für die Anerkennung und Akzeptanz trans Identitäten dienen sollte. Die Selbstwahrnehmung und das Erleben der eigenen Geschlechtsidentität sind komplexe Phänomene, die sowohl biologische als auch soziale und psychologische Aspekte umfassen.
Die Forschung in diesem Bereich ist fortlaufend, und während aktuelle Studien bedeutende Einblicke bieten, besteht weiterhin Bedarf an umfassenderen Untersuchungen, um das Zusammenspiel von Genetik, Gehirnstruktur und Geschlechtsidentität vollständig zu verstehen.
**Studien zur biologischen Grundlage von Transgeschlechtlichkeit
Genetik: Hudson Institute of Medical Research, Melbourne – DNA-Analyse von trans Frauen zeigt genetische Varianten in Genen für Sexualhormonverarbeitung.
Quelle: hudson.org.auNeurowissenschaften: Studien mit MRT-Bildgebung zeigen strukturelle Unterschiede im Gehirn trans Personen, z. B. im Putamen und der Insula.
Quelle: nature.comMaschinelles Lernen: KI-Analyse von Gehirnscans erkennt bei trans Frauen Merkmale näher an ihrer Geschlechtsidentität als am bei Geburt zugewiesenen Geschlecht.
Quelle: PMCFrühkindliche Entwicklung: Trans Jugendliche zeigen Gehirnaktivitäten entsprechend ihrer Identität, nicht ihres bei Geburt zugewiesenen Geschlechts.
Quelle: sciencedaily.com
Was soll ich sagen. Die Welt wird klein für Transmenschen. Wir laufen sehnenden Auges in eine Katastrophe. Ich könnte jeden Tag heulen. Nein ich heule jeden Tag.